Bildungsurlaub in Krakau mit Forum Unna

Bildungsurlaub machen meine Frau und ich nun schon seit ein paar Jahren, aber bisher nur in Deutschland. Jetzt, in der ersten Oktoberwoche, sind wir das erste Mal in Krakau in Polen. Anbieter ist Forum Unna.  Den Anbieter findet man aber auch über bildungsurlaub.de. Wir entschieden uns für das Seminar „Polnische Geschichte und deutsche Vergangenheit“. Geleitet wird es von Frau Julita Rarek.

Reist man mit dem PKW an und möchte man wegen der Parkraumbewirtschaftung die mindestens 15 EUR täglich nicht zahlen, muss man ca. 3 km vom Hotel abgesetzt parken. Das ist aber unproblematisch. Die meisten Teilnehmer reisten öffentlich an. Wir sind schon immer individuell unterwegs. Wenn das mit dem Fahrrad zu weit wird nehmen wir das Auto.  Fahrräder haben wir keine dabei, dazu wäre auch diese Woche keine Zeit, dazu gleich mehr.

Die Anreise erfolgte am Sonntag. Um 18 Uhr trifft man sich das erste Mal im Konferenzraum der Unterkunft. Dazu hat der Veranstalter das Hotel Eden ausgesucht. Nach einer kurzen Begrüßungs- und Vorstellungsrunde geht es gleich zur kolacja (Abendessen) ins Klezmer Hois, direkt in der Szeroka-Straße, keine zweihundert Meter zu Fuß. Das Abendessen war schon im Teilnahmepreis enthalten, der Veranstalter spendiert zum Abschluss noch eine Runde Wodka. Lekker.

Am nächsten Tag beginnen wir mit dem Frühstück im Hotel. Es lässt keine Wünsche offen. Traditionell verzehren Polen morgens schon Würstchen und Schinken, aber auch für Vegetarier und Veganer gibt es was zu essen. So gestärkt beginnt das Programm mit einem kurzen aber einprägsamen Abriss zur polnischen Geschichte. Es wird klar, warum das Land Jahrhunderte als Spielball diente und fast zweihundert Jahre gar nicht als eigenes Land auf der Karte existierte. Der Vortrag endet mit der wypierdalac-Bewegung (auf deutsch heißt das soviel wie haut ab!, stark verniedlicht formuliert) der Frauen zum Thema Abtreibung. Meine vorletzte Polnisch-Lehrerin Krystyna hätte ihre Freude daran gehabt. Gegen Mittag brechen wir dann zur Wawel-Burg auf. Die Burg ist traditionell Krönungs- und Grabstätte der polnischen Könige und Helden. Wir gehen durch die Kathedrale mit ihren Reliquien, besichtigen die Krypta, verstehen aber nicht ganz, zu welcher der vorgenannten Kategorien der verstorbene ehemalige Präsident Lech Kaczy?ski gehört. König war er ja nicht.
Danach gehen wir Richtung Marktplatz und kehren danach im pod aniolami ein.

Am Nachmittag besuchen wir noch das Dominikanerkloster in der Innenstadt, die Marienkirche mit dem Altar des Nürnberger Künstlers Veit Stoss. Der offizielle Teil war dann beendet, wir sind dann mit einer kleineren Gruppe noch zum camelot in der Tomasza gegangen und haben dort den Tag ausklingen lassen.

Am Dienstag waren wir fast den ganzen Tag in Nowa Huta, einer ab den 50er Jahren erbauten neuen Stadt, die einerseits eine Stahlhütte für den zunehmenden Hunger des Landes nach Eisen und Stahl bekam und damit Arbeitsplätze bot, andererseits auch Wohnraum für 100.000 Menschen zur Verfügung stellte, die im Stahlwerk arbeiteten und die ganze Infrastruktur drumherum abbildeten. Wir besichtigten eine Kunstgalerie in der Werke aus der Zeit nach der Entstehung der Stadt ausgestellt waren. Wir liefen über einen Wochenmarkt und besichtigten natürlich auch eine katholische Kirche, die den Stadtplanern abgetrotzt worden war. Die wollten ursprünglich keine bauen, hatten die Rechnung aber nicht mit den katholischen Polen gemacht, die 1977 einen jungen Kardinal zum Konklave nach Rom geschickt hatten und der als Papst Polen bei der Reform des Landes unterstützt hatte. Man kann seine Meinung zur katholischen Kirche haben, für mich ist die Rolle des Papstes in den Jahren 1980-1990 nicht wegzudenken. Ohne JPII wäre diese Wandlung so nicht eingetreten. Als Stadtführer durch Nowa Huta hat Julita einen fließend deutsch sprechenden Eingeborenen gewinnen können, bei ihm blieb keine Frage offen. Mittagessen gab es im skarbnicasmaku.

Nach dem Mittagessen fuhren wir mit der tramwaj zurück und gingen noch über einen Lebensmittelmarkt am nördlichen Ende des Rynek. Dort probierten wir Espresso-Tonic. Ich bin skeptisch, ob sich das durchsetzen wird.

Am Abend hat Julita für uns Live-Musik im Klezmer-Hois gebucht, das war richtig klasse. Es spielt die Band Sholem.

Wettermässig hätte es so weitergehenn können, leider kam es anders. Der Himmel weinte, das passte ein wenig zum Thema Auschwitz. Ich verweise an dieser Stelle auf unseren ersten Besuch im Muzeum. Koronabedingt ist jetzt einiges anders, der Keller von Block 11 war geschlossen, meiner Meinung nach ist das der schlimmste Teil des gesamten Rundgangs. Es gab auch einen neuen Teil mit Bildern der vernichteten Juden aus ganz Europa, die einem vor Augen führten, dass die Zeit der 30er Jahre auch schon bewegt und farbig war. Warum glaubt man das eigentlich nicht? Nach einer kurzen Pause im Bus fuhren wir dann noch nach Birkenau und liefen im strömenden Regen über das Gelände. Am Tag zuvor hat ein noch unbekannter Mensch ein antisemitisches Graffiti an eine Baracke gesprüht, da wurden gerade die Spuren beseitigt bzw. die gestrigen Besucher aufgefordert, Hinweise zu geben. Mehr Sachverhalt ist nicht bekannt. Die Führerin Alicja kannte die ganzen Zahlen über die Leistung der einzelnen Abschnitte auswendig. Aber die sind mir ja bekannt. Die Ermordung von 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz bzw. 6 Millionen im Zeitraum bis Frühjahr 1945 insgesamt ist schlimm und diesem Gedenken stellen wir uns. Im Gedenken sind aber alle Opfer, auch die polnischen Widerstandskämpfer. Als Beispiel sei nur Wiktor Tolkin genannt, der Freund meines Schwiegervaters.  Wiktor hat in Danzig gewohnt und nach dem Krieg riesige Denkmäler in Stutthof, Majdanek und Kolberg errichtet hat. Die SS tätowierten ihm die 75886 in den Arm, aber er hat die schlimme Zeit überlebt. Wir haben ihn an Ostern 2013, kurz vor seinem Tod, noch einmal besucht.

Am Donnerstag liefen wir nach einer kurzen Einführung im Seminarraum und einer Besichtigung der Mykvah unseres Hotels,  zu Fuß zur ehemalien Emaillewarenfabrik von Oskar Schindler. In den Gebäuden, die in Teilen auch als Kulisse für den Hollywoodstreifen „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg diente, befindet sich heute ein Museum der Stadt Krakau über die Zeit von 1935 bis 1946. Die Führung nahm dieses Mal Julita selbst vor, mit ihrem Radio versorgte sie uns unentwegt mit Information über die Ausstellung. Ein kleines Zettelchen mit einer Notiz von Roman Polanski, dem heutigen Regisseur, will ich Euch nicht vorenthalten:

Polanski hat als achtjähriger im Ghetto in Krakau geschrieben:

„Plötzlich  habe ich verstanden, wir sollten zugemauert werden. Es ist mir so Angst geworden, dass ich in Tränen ausbrach.“

Julita wies uns noch auf den Film Hometown hin, in welchem sich Polanski und Ryszard Horowitz, der jüngste Schindlerjude, treffen und reflektieren. Eine Vorschau zu youtube ist verlinkt. Der Film läuft gerade in Kinos in Krakau, könnte morgen noch klappen. Allerdings brauche ich einen mit Untertiteln. Die Mauer, an der sie in der Vorschau entlanggehen, ist die des Friedhofes, sie verläuft direkt unter unserem Fenster.

Nach dem Museum waren wir in Kazimierz im Lokal „Gellerübe mit Erbsen“, polnisch „marchewka z groszkiem“ zum Mittagessen. Das war jetzt wirklich der Spitzenreiter für die Woche. Sehr zu empfehlen. So gut, dass wir morgen gleich noch einmal hingehen. Nach dem obiad setzten wir den Rundgang fort und gelangten wieder auf die Szeroka, wo wir eine Synagoge und einen jüdischen Friedhof besichtigten. Der Friedhof sah anders aus, als die mir bekannten. Das erklärte Julita damit, dass von den deutschen Besatzern nicht nur Synagogen zerstört, sondern auch Friedhöfe geschändet wurden. Die Grabsteine fand man nach dem Krieg in großen Mengen liegend wieder und richtete einige von ihnen auf, ohne dass man genau wusste, wohin sie gehörten. Mit den übrigen Steinen wurde die Friedhofsmauer innen befestigt. Die Gräber selbst darf man nach der Gesetzen nicht mehr antasten. So erklärt sich die Regelmäßigkeit der Anordnung. Schaut man sich den Friedhof in Worms an, sieht man eine ganz andere, fast zufällige Anordnung der Gräber und Steine. In der Synagoge waren wir auch, gleichzeitig mit einer riesigen Schulklasse, ich habe leider nichts mitbekommen.

Wieder draußen wies uns Julita noch auf die mehrere Jahrzehnte vergessene, gegen Kriegsende von den Nazis ermordete polnisch-ukrainische Lyrikern Zuzanna Ginczanka hin, von der sie ein Bild bei sich trug. Sie wurde vor ein paar Jahren wiederentdeckt und unter der Domain Ginczanka.de kann man ein paar ihrer Gedichte lesen, auf deutsch und auf polnisch.

Den Abschluß am Donnerstag machen wir in diversen Lokalen und Höfen, die als Kulissen im o.g. Film Verwendung fanden, auf die wir aber nie gekommen wären, selbst wenn wir den Film unmittelbar vorher noch einmal angesehen hätten. Die Dreharbeiten sind allerdings 30 Jahre her, da hat sich dann doch einiges verändert.

An dieser Stelle möchte ich noch ein paar Worte über die orthodoxen Juden verlieren, die ebenfalls im Hotel bei uns untergebracht sind. Ein komisches Volk. Sie erwidern keinen Gruß, ignorieren einem völlig. Erklärt hat uns das Julita damit, dass Frauen in deren Welt, stark vereinfacht, nur der Fortpflanzung dienen und ansonsten  keine Rechte haben. Geld für die Familie verdienen eventuell noch, da sie selbst die Tora studieren müssen. Mehr als ein Kopfschütteln können sie dafür allerdings von mir auch nicht erwarten. OK, eine Teilnehmerin meinte, die katholische Kirche sei ja auch nicht viel besser, da würde Frauen ja auch der Zugang zum Priesteramt verwehrt. Das stimmt zwar, hält aber meiner Meinung nach den Vergleich mit den Chassiden nicht stand.

Freitag, letzter Tag der Veranstaltung. Zu Besuch ist eine junge Frau aus Polen, Marta, 30 Jahre alt. Sie diskutiert mit uns über alle Themen, die gerade auftauchen und uns bekannt sind.

Migration: Polen nimmt keine syrischen oder aus anderen Gebieten kommenden Flüchtlinge auf, obwohl sie das sollten.

Verfassungsgerichtsentscheidung: polnische Gesetze stehen über den europäischen. In Deutschland und allen anderen Ländern Europas ist es umgekehrt.

Umweltpolitik: In Polen gibt es keine Kernkraftwerke, aber auch kaum Windkraft. Die meiste Energie kommt aus Steinkohle. Das Thema Pfandsystem hätte man noch ansprechen können, kamen wir aber nicht drauf.

Regierung: Mit Geschenken an die Bevölkerung hat die PiS die Wahlen gewonnen.  Rentenalter heruntergesetzt, Kindergeld eingeführt.

Nach der Diskussion schauen wir einen Film über das Leben der Tochter von Amon Göth an. Sie trifft in diesem Film ein der beiden im Haus von Göth tätigen jüdischen Mädchen, Helen Rosenzweig (+2018). Der Film wurde im BR ausgestrahlt. Mal schauen, ob er noch zu bekommen ist.

Bücher:

Stella Müller Madej: Das Mädchen von der Schindler-Liste

Matthias Kessler: Ich muss doch meinen Vater lieben

Jennifer Teege: Amon, mein Großvater hätte mich erschossen

Wer noch einen Buchtipp hat, kann ihn mir schicken, den würde ich ergänzen.

Es folgte noch die Feedbackrunde und Teilnehmerbögen, dann machen sich die ersten schon langsam auf dem Heimweg.

Fazit

In Krakau habe ich eine der interessantesten Wochen überhaupt erlebt. An vielen der besuchten Orten war ich bereits früher einmal, aber die nochmal zu sehen, mit Radio Julita, das war wirklich außerordentlich interessant. Julitka, wir kommen wieder! Liebe Seminarteilnehmer, ich spreche auch im Namen meiner Frau, es war uns eine große Freude die Woche mit Euch zu verbringen.

update:

Gaby S., meine Klassenkameradin aus den ersten VHS-Polnisch-Kursen teilte mir heute mit, dass sie schon zweimal mit Forum Unna unterwegs war und zwar in Danzig und in Krakau. Reiseleitung war jedes Mal — Julita. Die Welt ist ein Dorf